
Das Erzgebirge ist wie kaum eine andere Region mit dem Bergbau verbunden, was schon im Namen deutlich wird. Vom „ersten Berggeschrey“ in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts bis zur Wismut war und ist die Geschichte der Region vom Bergbau geprägt. Dieser ist nicht nur eine Wirtschaftsform, sondern auch von einer sehr eigenen, qualitativ und quantitativ besonderen Kultur bestimmt.
Die Region steht vor demographischen und ökonomischen Herausforderungen, die durch negatives Wanderungssaldo bzw. Geburtsdefizit auf der einen und durch Verschiebungen in der Wirtschaftsstruktur auf der anderen Seite bedingt sind. Hier und in ganz Sachsen ist der Tourismus ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor, der Arbeitsplätze schafft und Ressourcen in das Land und die Region bringt. Das sächsische Entwicklungskonzept sieht daher verschiedene Strategien zur Stärkung und Weiterentwicklung des Tourismus vor, wobei dem Kulturtourismus eine besondere Bedeutung zukommt. Sachsen strebt an, sich als „Kulturreiseziel Nr. 1“ zu positionieren, wobei explizit auf Kultur und Geschichte Sachsens als „Markenkern“ im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals verwiesen wird. Hier fügt sich das Projekt ein, indem es die Erschließung der Bergbaukultur des Erzgebirges für den Tourismus befördern will. Damit trägt es zur weiteren Schärfung der Tourismusregion Erzgebirge im Sinne des Destinationsmanagements bei. Für nachhaltige Effekte im Kulturtourismus sind Narrative von entscheidender Bedeutung, welche die vorhandenen Artefakte zu einer für die BesucherInnen nachvollziehbaren und informativen Geschichte verknüpfen. In diesem Sinne spürt das Projekt den verschiedenen Facetten der Bergbaukultur nach und erläutert ihr Zustandekommen. Der kulturgeschichtliche Ansatz macht dabei die Verbindungen zwischen einzelnen Standorten deutlich und trägt zur Vernetzung der touristischen Angebote bei. Damit wird die ganze Region in ihrer Vielfalt erfasst und zu einem Destinationsraum für den Tourismus. Bergbaukultur ist dabei eng mit der Erfahrung vor Ort verknüpft. Wegen der engen Einbindung in die Natur und des Performanzcharakters ist sie nicht aus der Ferne oder ausschließlich medial vermittelt erfahrbar.
Die Bergbaukultur kann auch im Sinne der Aufwertung der Region identitätsstiftend sein und Abwanderungstendenzen entgegenwirken. Sie stellt einen gemeinsamen, positiven Bezugspunkt für die BewohnerInnen der Region dar. Diese muss dabei nicht auf die eigene Region beschränkt sein, sondern kann auch andere Bergbauregionen einbeziehen, und ist im Falle des Erzgebirges grenzübergreifend und international angelegt. Insbesondere jetzt, nachdem die Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří im Juli 2019 in die Liste der UNESCO-Weltkulturerbestätten aufgenommen wurde, erfolgt eine weitere Dynamik, die sich positiv auf die Region und den Tourismus auswirken kann. Das Dreiländereck zwischen Sachsen, Tschechien und Polen macht europäische Werte greifbar und bietet die Chance, Besuchergruppen jenseits des lokalen Marktes zu erschließen.
Das Dissertationsprojekt hat zum Ziel, die Bergbaukultur des Erzgebirges in ihrer historischen und aktuellen Dimension zu erfassen und für die oben skizzierten Kontexte nutzbar zu machen. Die Analyse nimmt drei Bereiche, die technisch-wissenschaftliche Dimension des Bergbaus, die museale Aufarbeitung der Bergbaukultur und die Bergparaden, in den Blick. Durch diesen Zuschnitt stehen ein zentraler inhaltlicher, ein performativer und ein didaktischer Aspekt im Fokus. Dabei stellt die technisch-wissenschaftliche Dimension des Bergbaus in ihrer kulturellen Überformung eine inhaltliche Grundlage für das Thema dar, da dieser Aspekt in keiner Spielart der Bergbaukultur fehlt. Hier lassen sich auch die Verknüpfungen und Veränderungen von Referenz- und Aufnahmebereich exemplarisch analysieren. Mit den Museen stehen Agenten der Transformation im Fokus, die durch Selektion, Anordnung und Interpretation ihres Materials eine narrative Ausdeutung präsentieren, die es im jeweiligen Kontext zu verstehen gilt. Die Bergparaden sind wiederum Ausdeutung und Tradition in einem. Agenten und Gegenstand der Transformation fallen gleichsam zusammen. Allen drei Zugängen ist gemein, dass sie für die touristische Aufarbeitung der Bergbaukultur zentral und für die regionale Identitätsstiftung wichtig sind.
Die Arbeit wird in mehreren Arbeitspaketen vollzogen. Die Transformationstheorie wird hierbei eine grundlegende Methodik sein, deren Referenzbereich der mittelalterliche und frühneuzeitliche Bergbau vom „ersten Berggeschrey“ (1168) bis ins 17. Jahrhundert, als die Ergiebigkeit der Funde stark nachließ, darstellt. Dieser steht im Zentrum der auch heute noch praktizierten Bergbaukultur, die damit auch Teil der Mittelalterrezeption zwischen romantisierender Parallelwelt und verunglimpfter Abgrenzungszeit ist. Aufnahmebereich ist die Zeit vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Neben der Erschließung der einschlägigen Literatur und Quellen zur Technik und Wissenschaft des Bergbaus, um einen thematischen Querschnitt durch die verschiedenen Ausprägungen der Bergbaukultur vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart erarbeiten zu können, ist die qualitative Befragung aktueller Kulturakteure vorgesehen. Dies ermöglicht eine Zuspitzung der Transformation auf jene, heute wichtig erscheinenden Aspekte; ein Herausschälen der Bezugspunkte, die für die gegenwärtig praktizierte Bergbaukultur von Relevanz sind und warum. Die Ergebnisse bieten nicht nur den Einblick in die Handlungen, sondern auch in die Rezeptionsgeschichte. Das Verständnis über Eigenheiten sowie den Umgang mit der Bergbaukultur bieten dem sächsischen Kulturtourismus Möglichkeiten des Hervorhebens der regionalen Besonderheiten.
Zu den Akteuren der praktizierenden Bergbaukultur gehören neben den Bergmanns-, Knappen- und Hüttenvereinen in Sachsen auch die thematisch einschlägigen Museen und jene Orte, die als 22 Bestandteile der Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří als Welterbe aufgenommen wurden.
Die Bergbaumuseen des Erzgebirges sind Teil einer öffentlich vermittelten regionalen Kultur und Identität, die sich aber nicht nur an die Region, sondern speziell auch an auswärtige BesucherInnen richtet. Es ist daher nach der Art und Weise zu fragen, wie die Bergbaukultur musealisiert und vermittelt wird. Hierzu werden vor allem qualitative Leitfrageninterviews zum Tragen kommen. Durch die räumlich-vergleichende Analyse sollen Netzwerkeffekte erprobt und touristisch nutzbare Querverbindungen und Narrative erschlossen werden. In diesem Kontext wird auch die Einsetzbarkeit moderner Vermittlungsmethoden – digitale Museumsführer, Apps, Virtual Reality – erforscht. Im Sinne eines best practice Ansatzes werden hier auch Bergbaumuseen jenseits des Erzgebirges in Auswahl berücksichtigt.
Die Befragung der MitgliederInnen der Bergbauvereine zielt vor allem auf die Organisation und Durchführung der Bergparaden ab. Schließlich bilden diese heute neben den Museen den öffentlichkeitswirksamsten und für den Tourismus wichtigsten Bestandteil der Bergbaukultur. Sie nehmen im Sinne der Event-Strukturierung des Tourismusjahres eine Schlüsselfunktion ein, sind aber wissenschaftlich nicht erforscht. Um die kulturgeschichtlichen Dimensionen dieser Paraden zu erschließen, bedient sich dieses Arbeitspaket der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring und Ansätzen der Ritual- und Performanzforschung. Hier gilt es die Möglichkeiten auszuloten, die sich aus der Überschneidung von Regionalidentität und Tourismus ergeben. Dieser Zugang bezieht auch die Bergbaukultur der Wismut AG mit ein, sowie die Netzwerke des sächsischen Kulturtourismus, mit denen die Akteure kooperieren. Am Ende der drei Arbeitspakete steht eine Zusammenstellung aller Teilergebnisse, die auch einen Praxisleitfaden zur Erschließung und Präsentation verschiedener Aspekte der Bergbaukultur im Rahmen des Tourismus – Einbettung in ein integratives Kultur- und Tourismuskonzept, Partizipation/Audience Development – enthält.
Anhand einer erstellten Roadmap werden im Laufe der Bearbeitung die jeweiligen Orte und Akteure besucht werden. Flankiert wird das Projekt durch die dreiteilige Social-Media-Darstellung „Bergbau.KulTour“. Hierin finden Interessierte auf drei Wegen Zugang zum Projekt. Der wissenschaftlich dokumentarische Bereich bietet der „Bergbau.KulTour-Blog“, das sogenannte Logbuch des Projektes – der hier sichtbaren Seite. Auf diesem werden die Fortschritte anhand regelmäßiger Beiträge verzeichnet. Die Projektpräsenzen von „Bergbau.KulTour“ auf Facebook und Instagram ist der Versuch, eine Verbindung zwischen historischen Arbeiten und dem sich im Fluss befindenden Austausch zur Bergbaukultur unter Berücksichtigung der touristischen Aspekte zu ermöglichen. Alle jeweiligen Bereiche finden bereits im Internet statt, wie zahlreiche Internetseiten der Vereine und Museen oder aber auch jene von „Heimatforschern“ belegen. Eine Nichtbeachtung dieser, gerade in Zeiten sich verschiebender Kommunikation und Darstellungen im Netz, klammert neue Möglichkeiten der Präsentation für die Bergbaukultur aus. Insbesondere mit Blick auf ein zu erstellendes Tourismuskonzept wäre dies nicht zu rechtfertigen.
Literatur:
Boch, Rudolf / Karlsch, Rainer (Hg.): Uranbergbau im Kalten Krieg. Die Wismut im sowjetischen Atomkomplex. Bd. 1 u. 2, Berlin 2011.
Bartels, Christoph /Slotta, Rainer (Hg.): Der alteuropäische Bergbau. Von den Anfängen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, Geschichte des deutschen Bergbaus, Bd. 1, Münster 2012.
Belliger, Andréa /Krieger, David J. (Hg.): Ritualtheorie, Ein einführendes Handbuch, 5. Aufl, Wiesbaden 2013.
Bergemann, Lutz /Dönike, Martin /Schirrmeister, Albert /Toepfer, Georg /Marco, Walter /Weitbrecht, Julia : Transformation. Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels, In: Böhme, Hartmut /Bergemann, Lutz /Dönike, Martin /Schirrmeister, Albert /Toepfer, Georg /Walter, Marco /Weitbrecht, Julia (Hg.): Transformation. Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels. Paderborn 2011), S. 39–56.
Brosius, Christiane /Michaels, Axel /Schrode, Paula (Hg.): Ritual und Ritualdynamik. Schlüsselbegriffe, Theorie, Diskussionen, Göttingen 2013.
Grabs, Anne /Bannour, Karim-Partrick /Vogl, Elisabeth: Follow Me! Erfolgreiches Social Media Marketing mit Facebook, Instagram, Pinterest und Co., 5., akt. Aufl. 2018, 1., korr. Nachdr. 2019.
Heilfurth, Gerhard: Bergbaukultur im Erzgebirge. Grundzüge und seine Auswirkungen, Dresden 1995.
Ingenhaeff, Wolfgang /Bair, Johann (Hg.): Bergbau und Berggeschrey. Zu den Ursprüngen europäischer Bergwerke, 8. Internationaler Montanhistorischer Kongress Schwaz-Sterzing 2009, Tagungsband, Hall 2010.
Kollmorgen, Raj /Merkel, Wolfgang /Wagener, Hans-Jürgen (Hg.): Handbuch Transformationsforschung, Wiesbaden 2015.
Lück, Manuela: Verschwundene Landschaften – Neue Heimaten?! Der Bergbau im kollektiven Gedächtnis Ostdeutschlands. Einige Beispiele aus Kunst und Literatur der letzten Jahrzehnte, In: Kunst und Literatur der letzten Jahrzehnte, In: Sächsische Bergbauregionen im Wandel : Reflexionen, Positionen, Perspektiven im 20./21. Jahrhundert ; Beiträge zur Tagung des Fachbereiches Volkskultur der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen, 25. Oktober 2008, Bergbaumuseum Oelsnitz/Erzgebirge.
Müller, Kurt /Opp, Karl-Dieter: Region – Nation – Europa. Die Dynamik regionaler und überregionaler Identifikation, Wiesbaden 2006.
Niethammer, Lutz: Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur, Hamburg 2000.
Rein, Hartmut /Strasdas, Wolfgang (Hg.): Nachhaltiger Tourismus. Einfühung, Kostanz/München 2015.
Slotta, Rainer: Regionale Traditionen der Bergbaukultur in Deutschland, In: Löden, Sönke: Montanlandschaft Erzgebirge. Kultur, Symbolik, Identität, Leipzig 2003.
Schmiedel, Jörg: Untersuchungen zum vorgeschichtlichen und hochmittelalterlichen Bergbau in der Region von Annaberg-Buchholz im Erzgebirge, in: Sächsisch-böhmische Erzgebirgsstudien, Langenweißbach 2014, S. 1-27.
Schütterle, Juliane: Kumpel, Kader und Genossen. Arbeiten und Leben im Uranbergbau der DDR, Die Wismut AG, Paderborn [u.a.] 2010.
Schwabenicky, Wolfgang: Der hochmittelalterliche Bergbau in und um Freiberg, In: Beiträge, Freiberg, 2003, S. 433-443.
Tourismusstrategie Sachsen 2025. Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr – Freistaat Sachsen: https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/32459 (eingesehen am 10.2.2019).